Der wissenschaftliche Name „Leucorrhinia“ kommt von „leukos“ (gr.) = weiß und „rhinios“ (gr.) = nasig (zu „rhis“ = Nase) nach der weißen Stirn. „caudalis“ stammt von „cauda“ (lat.) = Schwanz ab; wegen des hinten abgeflachten, verbreiterten „schwanzartig“ abgesetzten Hinterleibs der Männchen, der sie von anderen Leucorrhinia – Arten unterscheidet.
Deutscher Artname: Wegen der zierlichen Erscheinung der Art.
Leucorrhinia caudalis erreicht eine Körperlänge von etwa 3 Zentimetern und eine Flügelspannweite von 6 bis 6,5 Zentimetern. Die Hinterflügel weisen kleine schwarze Basalflecken auf. Die Flügelmale (Pterostigmata) der Männchen sind von oben hell weiß und an der Unterseite dunkel gefärbt. Bei den Weibchen sind sie beidseitig dunkelbraun bis schwarz. Beide Geschlechter besitzen die für alle Moosjungfernarten weiße Stirn. Die oberen Hinterleibsanhänge (Cerci) sind ebenfalls weiß.
Der Hinterleib der Männchen als auch der Weibchen ist zum Ende hin deutlich keulig verdickt. Am Abdomen zeigt die Art geschlechtsspezifische Unterschiede (Sexualdimorphismus). Die Jungen Männchen sind wie die Weibchen schwarz – gelb gefärbt. Erwachsene und somit geschlechtsreife Tiere weisen auf den Hinterleibssegmenten 3 bis 5 eine hellblaue Wachsbereifung auf. Das Abdomen der Weibchen besitzt auf der Oberseite der Segmente 2 bis 6 je einen gelben Fleck, der mit zunehmendem Alter verblasst. Die blaue Bereifung fehlt bei ihnen, jedoch ist bei sehr alten Weibchen gelegentlich der Hinterleib seitlich blau bestäubt.
Verwechslungsgefahr besteht mit der Östlichen Moosjungfer, Leucorrhinia albifrons, welche über eine ähnliche Zeichnung verfügt, jedoch wesentlich schlanker wirkt und statt weißer Flügelmale schwarze besitzt, die weiß umrandet sind.
Die Fotoreihe zeigt die Emergenz eines Männchens der Art.
Die Exuvien der Zierlichen Moosjungfer sind bis zu 20 Millimeter lang. Auf dem Rücken uns an den Seitenenden weisen sie eine sehr kräftige Bedornung auf, was sie zu einer Koexistenz mit Fischen befähigt, da die Dornen eine wirkungsvolle Abwehr gegenüber Fressfeinden darstellen.
Bei Leucorrhinia caudalis besteht, was die Imaginalhabitate angeht, noch großer Forschungsbedarf. Beobachtungen und Literaturhinweise lassen vermuten, dass sich das Leben der Imagines teilweise in bzw. über den Baumkronen abspielt.
Frisch geschlüpfte Tiere fliegen bei ihrem Jungfernflug sehr häufig in die Baumkronen. Während ihrer Reifezeit überfliegen sie Moore und Weiher und können auch weit von den Gewässern auf Wegen und Wiesen bei der Jagd angetroffen werden. Auch hier fliegen sie im Wipfelbereich der Bäume.
Die Zierliche Moosjungfer besiedelt stehende Gewässer mit reichlich submerser und emerser Vegetation wie Schwimmblattpflanzen, also Teich- und Seerosenblätter sowie diverse Laichkrautgewächse, Tausendblatt und Wasserschlauch. Die Gewässerufer sind zumeist rundum beschattet, die Wasserfläche hierdurch nur partiell besonnt. Wald und Gehölzbüsche sollten an den Ufern der Gewässer bis über die Wasseroberfläche hinausragen. Schilfbestände müssen bis mehrere Meter in das Wasser hinein vorkommen. Die Vegetationsreichen Uferzonen sollten ausgiebige Flachwasserzonen aufweisen, die von der Art als Larvalhabitat genutzt werden.
Männliche Jungtiere der Zierlichen Moosjungfer.
Die so bestandenen, meist von Grundwasser gespeisten Gewässer bilden so ein ausgeglichenes und wintermildes Mikroklima, was der Zierlichen Moosjungfer entgegenkommt. Fischbesatz scheint offen bar keine Rolle zu spielen. Ähnliche Gewässer, die nur eine geringe Oberflächenströmung aufweisen, werden von der Art gemieden.
Leucorrhinia caudalis scheint einen besonderen Wert auf hohe Wasserqualität zu legen. Um diese an manchen Gewässern wo die Art wissentlich vorkam noch zu verbessern, führten gutgemeinte, jedoch letztlich katastrophale Eingriffe des Menschen etwa durch Kalkung der Biotope zum augenblicklichen Erlöschen der ohnehin kleinen Bestände.
Weibliche Jungtiere der Zierlichen Moosjungfer.
In warmen Frühjahren beginnt Leucorrhinia caudalis etwa Mitte Mai zu schlüpfen. Die Larven verlassen bereits am frühen Morgen und während des Vormittags das Wasser zur Imaginalhäutung. Dabei zeigen sie ein großes Schlupfspektrum. Während einige Tiere unmittelbar an der Vegetation der Ufergewächse in 40 bis 50 Zentimetern Höhe schlüpfen, wandern andere über eine Strecke von mehreren Metern vom Wasser weg um in Bodennähe an vertikalen Strukturen lediglich 5 Zentimeter über Grund zu schlüpfen. Einige Larven erklettern die Bäume direkt am Wasser und wandern in Höhen von etwa 6 bis 8 Metern zu einem Schlupfort. Aus solchen Höhen geborgene Larven, die unten am Baum wieder abgesetzt wurden, begannen erneut diesen zu erklimmen.
Die zierliche Moosjungfer schlüpft bereits bei Temperaturen um die 14° C und bei schlechter Witterung. Sehr wahrscheinlich kommt ihnen dabei das im Mai vorhandene dichte Blätterdach der Ufergehölze zu Gute.
Die jungen Imagines halten sich in der weiteren Umgebung zur Reife und zur Jagd auf. Dabei bevorzugen die zierlichen Großlibellen offensichtlich offene Flächen und Wege mit unmittelbar angrenzendem hohem Gehölzbestand in dessen Wipfellagen sie ihre Nahrung erbeuten und höchstwahrscheinlich auch ihre Schlafplätze haben.
Zum Bild unten; ein seltenes Dokument: Jungtiere beiderlei Geschlechts landeten sehr dicht nebeneinander. Links das Männchen. Beachte die unterschiedlichen Zeichnungen und die jeweiligen weißen Hinterleibsanhänge.
Die nach etwa 8 bis 10 Tagen geschlechtsreifen Männchen erscheinen morgens am Gewässer, wo sie sich zunächst oben in den Bäumen aufhalten. Sobald das Gewässer sonnenbeschienen ist fliegen sie hinaus auf die Wasseroberfläche und besetzen dort Reviere auf Teichrosenblättern, die sie gegen einfliegende artfremde Libellen sowie Artgenossen verteidigen. Dabei heben sie die Flügel und das Hinterleibsende leicht an. Offenbar wollen sie so den Weibchen imponieren. Die Männchen bleiben solange in ihrem Revier, wie das Territorium von der Sonne erwärmt wird. Ihre Hauptaktivität erstreckt sich vom späten Vormittag bis in den frühen Nachmittag.
Erwachsene Weibchen der Zierlichen Moosjungfer.
Wird ein Weibchen von der Sitzwarte des Männchens aus entdeckt, so wird es sogleich angeflogen und ergriffen. Anschließend kehrt das Männchen mit dem angekoppelten Weibchen in Tandemformation auf seinen Ausgangspunkt (etwa ein Seerosenblatt mitten auf dem Wasser) zurück, wo die Paarung im Sitzen vollzogen wird. Anschließend geht das Weibchen alleine zur Eiablage über, indem es diese im Flug über Wasser abwirft.
Erwachsene Männchen der Zierlichen Moosjungfer.
Die Art gilt als sehr scheu und ist durch ihre Verhaltensweise sehr schwer zu dokumentieren. Die Flugzeit der Imagines reicht von Mitte Mai bis Ende Juli.
Die sehr zierlich gebauten Tiere erbeuten allerlei Kleininsekten wie Mücken, Fliegen, Schnaken, kleine Schmetterlinge und Käfer, die teilweise im Flug erbeutet werden. Die Vermutung, dass Leucorrhinia caudalis ihr Jagdrevier auch in den Kronen hoher Bäume hat, lässt den Schluss zu, dass auch auf Blättern sitzende Beute geschlagen werden kann. Die Larven leben zwischen dichten Wasserpflanzen versteckt wo sie auf ihren Beutezügen kleinen Krebschen, Würmern, Zuckmücken- und Fliegenlarven nachstellen.
Das Hauptverbreitungsgebiet von Leucorrhinia caudalis liegt in Osteuropa. In Nordeuropa (Skandinavien) ist die Art nur im Süden lokal vertreten. In Dänemark und Großbritannien fehlt die Art ebenso wie im gesamten Südeuropa. Nach Osten hin reicht ihr Verbreitungsgebiet bis zur Waldsteppenzone Westsibiriens. Aus den Niederlanden und Belgien liegen nur vereinzelte Funde aus der Mitte des letzten Jahrhunderts vor. In Luxemburg konnte die Art an einem Ort 1997 zum ersten Mal nachgewiesen werden. Zwei Jahre später gelang dort der Nachweis der Bodenständigkeit einer kleinen Population. In Österreich und der Schweiz gibt es sehr kleine inselartige Vorkommen an sehr wenigen Orten.
In Deutschland liegt ihr Hauptverbreitungsgebiet in den östlichen Bundesländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Hier kann die Art auch in größeren Populationen vorkommen. Aus Baden- Württemberg und Bayern sind nur Einzelfunde bekannt. Nachweise einer lokalen Reproduktion gibt es bislang noch nicht. Im Saarland wurde die Art zum ersten Mal 1999 gesichtet. Für Rheinland-Pfalz gilt in etwa das Gleiche. Da die Art sehr empfindlich auf Veränderungen ihres Lebensraumes reagiert, bleibt abzuwarten, ob sich dort kleine Populationen entwickeln können.
Die Zierliche Moosjungfer zählt zu den ganz großen Seltenheiten unserer Heimat.